Italien wegen Inhaftierung von Migranten auf Lampedusa verurteilt

Das Migazin berichtet am 31.03.2023: Die steigende Zahl von Schutzsuchenden entbindet EU-Staaten nicht von der Pflicht menschenwürdiger Aufnahme und Unterbringung. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Jetzt muss Italien Geflüchteten 8.500 Euro zahlen.

Die Haft sowie die Haftbedingungen in einem Aufnahmezentrum „für Migranten“ auf der italienischen Insel Lampedusa haben nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Vier tunesische Staatsbürger hatten unter anderem gegen ihre Inhaftierung unter „unmenschlichen“ und „entwürdigenden Bedingungen“ geklagt, wie aus dem Urteil vom Donnerstag hervorgeht. Die italienische Regierung wurde verurteilt, jedem Kläger 8.500 Euro zuzüglich Kosten und Ausgaben zu zahlen, wie die Richter in Straßburg erklärten.

Wie europäische Staaten die Seenotrettung verhindern

Das Migazin (Hoda Bourenane) vom 29.03.2023 berichtet: Das deutsche Seenotretterschiff „Louise Michel“, das viele Menschen in Seenot retten könnte, wird seit Samstag willkürlich von den italienischen Behörden festgehalten. Der Grund hierfür liegt darin, dass die „Louise Michel“ nach vier Rettungseinsätzen in der lybischen sowie maltesischen SAR-Zone 178 Migranten auf Lampedusa an Land brachte und sie zunächst aus akuter Lebensgefahr gebracht hat.

Die rechtliche Grundlage für die Festsetzung stellt das vom italienischen Präsidenten Sergio Matarella am 2. Januar 2023 unterzeichnete Gesetzesdekret dar. Danach müssen Seenotrettungsschiffe nach jedem Einsatz ohne Umwege, d. h. ohne weitere mögliche Rettungseinsätze einen von der Küstenwache vorgegebenen Hafen anlaufen. Hinzu kommt, dass häufig weit entfernte Häfen zugewiesen werden, die bis zu vier Tage Fahrt von der jeweiligen Position des Schiffes erfordern.

In anderen Worten führt der Erlass des Dekrets dazu, dass die Rettungskapazitäten ziviler Akteure auf See reduziert werden. Damit wird die Situation auf dem zentralen Mittelmeer als einer der tödlichsten Fluchtrouten der Welt de facto verschärft. Und das, obwohl es bereits einen umfassenden Rechtsrahmen für Such- und Rettungsaktionen gibt, nämlich das Seerechtsübereinkommen der vereinten Nationen (SRÜ) und das internationale Seenotrettungsübereinkommen (SAR-Konvention).

Während zivile Seenotrettungsorganisationen das italienische Dekret als Verstoß gegen das internationale Seerecht, die Menschenrechte und das europäische Recht erachten und eine starke Reaktion der europäischen Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments fordern, bleibt jegliche Reaktion aus.

Im Gegenteil. In Deutschland steht eine Reform der Schiffsicherheitsverordnung (SchiffSV) bevor, die von dem Verkehrsministerium unter Wissing angestrebt wird. Die neuen Regelungen verlangen unter anderem auch von kleineren Schiffen, Yachten und Beibooten ein Schiffsicherheitszeugnis. Ursprünglich war dies eine Anforderung, die der kommerziellen Schifffahrt entspricht. Bisher waren Fahrzeuge mit einer Länge bis etwa 35 Metern davon ausgenommen. Diese Verschärfung führt nicht zu mehr Sicherheit an Bord, da die Regelungen für Frachtschiffe nicht auf die Einsatzzwecke ziviler Seenotrettung zugeschnitten sind und bestehende Sicherheitsstandards ziviler Rettungsschiffe teilweise unterlaufen. Infolgedessen droht die Seenotrettung drastisch eingeschränkt zu werden.

Auch in Griechenland wird zivilen Seenotrettern die Arbeit erschwert. Die griechischen Behörden werfen ihnen Spionage, Schlepperei und Mitgliedschaft in einem kriminellen Netzwerk vor. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung soll ultimativ zur Abschreckung weiterer Migranten dienen und jegliche Empathie für die Aktivisten unterbinden.

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint eine Seenotrettungsmission europäischer Staaten eine Wunschvorstellung. Die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen zeigen eindeutig, dass mit allen Mitteln die Abschottung der Festung Europa in den Vordergrund des Handelns gerückt ist. Sowohl Nationalstaaten als auch die Europäische Union schauen sehenden Auges hin, wie Menschenleben hinter wirtschaftliche und politische Interessen treten.

Wieder viele Tote im Mittelmeer

Das Migazin berichtet am 27.03.2023: Knapp 190 Kilometer trennen die Küstenstadt Sfax in Tunesien und die italienische Insel Lampedusa. Obwohl die Fahrt hochgefährlich ist, wagen Migranten weiterhin die Überfahrt. In den vergangenen zwei Tagen kamen auf Lampedusa mehr als 3.000 Menschen an, mindestens 40 Menschen verloren ihr Leben.

Trotz jüngster verheerender Bootsunglücke wagen weiterhin sehr viele Migranten die Überfahrt über das Mittelmeer in Richtung Italien. In den vergangenen zwei Tagen kamen allein auf der italienischen Insel Lampedusa mehr als 3.000 Menschen an, wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa am Sonntag berichtete. Am Samstag erreichten demnach insgesamt 1.387 Menschen die kleine Insel. Am Freitag waren es 1.778 Menschen.

Die Menschen, unter ihnen auch viele Kinder, erreichten Lampedusa in mehreren Booten. Einigen Booten kamen das Seenotretterschiff „Louise Michel“ sowie Patrouillenboote der italienischen Behörden zu Hilfe. Den Seenotrettern wurde erneut ein weit entfernter Hafen zugewiesen. Auch am Sonntag wurden weitere Ankünfte erwartet.

Acht Menschen kamen am Samstag auf dem Weg übers Mittelmeer in die EU ums Leben. Zwei kleine Boote waren in der Nähe von Malta in Seenot geraten – die acht geborgenen Leichen wurden in der Nacht zu Sonntag von der italienischen Küstenwache nach Lampedusa gebracht, wie Ansa weiter berichtete.

Der Bürgermeister von Lampedusa, Filippo Minnino, forderte unterdessen eine gemeinsame europäische Mission im Mittelmeer. „Europa und Italien müssen sich bewusst werden, dass im Mittelmeer Notstand herrscht. Es sterben weiterhin Frauen, Kinder und Männer“, sagte der Politiker laut Ansa. Trotz der vielen Toten gibt es keine europäische Seenotrettungsmission im Mittelmeer.

Seenotretter werfen Italien Verzögerungstaktik vor

Das Migazin berichtet am 14.03.2023: Nach einem Bootsunglück am Sonntag mit Geflüchteten im Mittelmeer gelten 30 Menschen als vermisst. Seenotretter machen die italienischen Behörden für den Tod der Menschen verantwortlich. Das italienische Rettungskoordinationszentrum sei mehrfach informiert worden, dass vor der libyschen Küste 47 Menschen in Seenot sind, erklärte die Hilfsorganisation Alarmphone am Sonntagabend. Nach vielen Stunden seien jedoch nur Handelsschiffe am Notfallort eingetroffen, die auch nicht sofort eingegriffen hätten. Diese Verzögerung habe sich als tödlich erwiesen.

Nach dem letzten Kontakt zwischen Alarmphone und den Flüchtenden sei das Boot gekentert. Nur 17 Menschen hätten überlebt, sie seien von einem Handelsschiff aufgenommen worden. Die italienische Küstenwache erklärte nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Ansa vom Montag, der Notfallort habe außerhalb des Zuständigkeitsbereichs Italiens in den Such- und Rettungszonen im Mittelmeer gelegen. Die libyschen Behörden hätten die italienische Koordinierungsstelle für Seenotrettung um Unterstützung gebeten, die eine Notmeldung an alle Schiffe auf der Durchfahrt gesandt habe.

Italien habe bewusst auf Zeit gespielt, warfen hingegen die Helfer von Alarmphone den Behörden vor. Die Verzögerung sei systematisch gewesen, Italien habe darauf gesetzt, dass in der Zwischenzeit die libysche Küstenwache eingreife und die Flüchtlinge und Migranten zurück nach Nordafrika bringe.

1.200 Geflüchtete erreichen Italien

Das Migazin vom 13.03.2023 berichtet: Am Wochenende haben mehr als 1.200 Geflüchtete die italienische Küste erreicht. Nach einer gefährlichen Fahrt übers Mittelmeer kamen am Samstag ein Boot mit 487 Menschen an der Hafenstadt Crotone in der Region Kalabrien im Süden des Landes an, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. Zudem brachte ein Schiff der Küstenwache 584 Geflüchtete in den Hafen der Stadt Reggio Calabria. Die Menschen waren zuvor aus überfüllten Booten auf hoher See an Bord genommen worden. Hinzu kam nach Angaben der Küstenwache ein weiteres Schiff mit einer kleineren Gruppe.

Die Küstenwache stand in den vergangenen Tagen heftig in der Kritik, weil sie Ende Februar einem Boot mit mehr als 150 Menschen zunächst nicht zur Hilfe gekommen war. Das Boot kenterte. Am Wochenende – zwei Wochen nach dem Unglück – zogen Einsatzkräfte die Leichen dreier Kinder und dreier Erwachsener aus dem Wasser. Insgesamt starben mindestens 79 Menschen, darunter 32 Kinder und Jugendliche, wie ein Kommandant der Carabinieri auf Anfrage bestätigte. Kritik gibt es weiterhin auch an der Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Wegen der schwierigen Wetterbedingungen und der vielen Personen seien die Einsätze am Wochenende „außergewöhnlich komplex“ gewesen, hieß es von Seiten der Behörden. Immer noch trieben Menschen auf Booten, die eigentlich seeuntauglich seien, im Meer. Das Hilfsprojekt Alarm Phone berichtete am Sonntag, dass noch 47 Geflüchtete in Seenot vor der libyschen Küste unterwegs seien. Die Menschen an Bord seien müde und hätten panische Angst. Seit Anfang Januar hat Italien nach offiziellen Zahlen mehr als 17.000 Bootsgeflüchtete aufgenommen – mehr als doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Unterdessen demonstrierten am Samstag etwa 5.000 Menschen gegen das Sterben im Mittelmeer. Sie versammelten sich in der kalabrischen Stadt Steccato di Cutro, vor deren Küste sich das schwere Unglück vor zwei Wochen ereignete. Am Strand gedachten sie der Toten mit einer Schweigeminute. Einige Demonstranten hielten ein Kreuz in die Höhe, das aus den Trümmern des verunglückten Holzbootes gebaut wurde.

Bundesregierung plant Behinderung ziviler Seenotrettung

Das Migazin vom 01.03.2023 berichtet: Deutsche Seenotretter werfen der Bundesregierung vor, mit einer Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) den Koalitionsvertrag zu verletzen. Die Ampel-Koalition will höhere Sicherheitsstandards auch für kleinere Schiffe ab 24 Metern Länge vorschreiben. Das geht aus einem Referentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums hervor, über den das ARD-Magazin Monitor berichtete und der auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die deutschen Rettungsorganisationen kritisierten am Dienstag, dass die neuen Auflagen für sie zu teuer seien und ihre Einsätze behinderten.

„Für die Mehrheit der zivilen Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge wird diese Verordnung bedeuten, dass sie ihre lebensrettende Arbeit einschränken oder einstellen müssen“, heißt es in der Mitteilung der NGOs, die unter anderem von den Organisationen Mission Lifeline, Resqship, Sea-Watch und Sea-Eye unterzeichnet wurde. „Die Umsetzung dieser Änderungen stellt einen klaren Bruch des Koalitionsvertrags dar, nachdem zivile Seenotrettung nicht behindert werden darf“, schrieben die zivilen Vereine darüber hinaus.

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums entgegnete auf Anfrage: „Das Vorhaben zielt nicht auf die Behinderung von privater Seenotrettung im Mittelmeer ab, sondern es geht im Gegenteil darum, deren Arbeit abzusichern.“ Man stehe mit den Organisationen in ständigem Kontakt, außerdem solle es Übergangsfristen für die Umrüstungen geben.

Die Bundesregierung wolle garantieren, dass deutsche Schiffe den modernen Sicherheitsstandards entsprechen. Deshalb sollten Boote ab 24 Metern Länge die Anforderungen für Frachtschiffe erbringen – bislang galten Schiffe bis 35 Metern als Kleinfahrzeuge und hatten entsprechende Privilegien. Von der Änderung wäre unter anderem die „Rise Above“ der Dresdner Organisation Mission Lifeline betroffen, die zuletzt regelmäßig im Mittelmeer im Einsatz war.

Die Helfer führen aus, dass es seit Beginn der Einsätze ziviler Schiffe im Mittelmeer 2015 keinen Unfall gab, bei dem Crewmitglieder oder Gerettete wegen Sicherheitsmängeln in Gefahr gerieten. „Die geplanten Änderungen sind zur Erhöhung der Sicherheit weder geeignet noch erforderlich“, heißt es in der Erklärung. „Sollte der aktuelle Entwurf der Schiffssicherheitsverordnung in Kraft treten, sehen wir uns mit einer massiven Erhöhung finanzieller Anforderungen durch unnötige Anpassungen und einer aktiven Behinderung unserer Arbeit konfrontiert, die letztendlich unsere Einsätze mit diesen Schiffen unmöglich macht“, so die NGOs weiter.

Das Vorgehen der Bundesregierung erinnert an die Praxis aus dem Jahr 2020. Damals hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf Drängen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit einer Änderung in der Schiffssicherheitsverordnung den Einsatz von Seenotrettern erschwert. Politiker der heutigen Ampel-Koalition hatten die Änderungen unter CSU-Führung „noch als ‚Schande‘, ‚faulen Trick‘ und ‚Schikane gegen die Menschlichkeit‘ kritisiert“.