Das Migazin (Hoda Bourenane) vom 29.03.2023 berichtet: Das deutsche Seenotretterschiff „Louise Michel“, das viele Menschen in Seenot retten könnte, wird seit Samstag willkürlich von den italienischen Behörden festgehalten. Der Grund hierfür liegt darin, dass die „Louise Michel“ nach vier Rettungseinsätzen in der lybischen sowie maltesischen SAR-Zone 178 Migranten auf Lampedusa an Land brachte und sie zunächst aus akuter Lebensgefahr gebracht hat.
Die rechtliche Grundlage für die Festsetzung stellt das vom italienischen Präsidenten Sergio Matarella am 2. Januar 2023 unterzeichnete Gesetzesdekret dar. Danach müssen Seenotrettungsschiffe nach jedem Einsatz ohne Umwege, d. h. ohne weitere mögliche Rettungseinsätze einen von der Küstenwache vorgegebenen Hafen anlaufen. Hinzu kommt, dass häufig weit entfernte Häfen zugewiesen werden, die bis zu vier Tage Fahrt von der jeweiligen Position des Schiffes erfordern.
In anderen Worten führt der Erlass des Dekrets dazu, dass die Rettungskapazitäten ziviler Akteure auf See reduziert werden. Damit wird die Situation auf dem zentralen Mittelmeer als einer der tödlichsten Fluchtrouten der Welt de facto verschärft. Und das, obwohl es bereits einen umfassenden Rechtsrahmen für Such- und Rettungsaktionen gibt, nämlich das Seerechtsübereinkommen der vereinten Nationen (SRÜ) und das internationale Seenotrettungsübereinkommen (SAR-Konvention).
Während zivile Seenotrettungsorganisationen das italienische Dekret als Verstoß gegen das internationale Seerecht, die Menschenrechte und das europäische Recht erachten und eine starke Reaktion der europäischen Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments fordern, bleibt jegliche Reaktion aus.
Im Gegenteil. In Deutschland steht eine Reform der Schiffsicherheitsverordnung (SchiffSV) bevor, die von dem Verkehrsministerium unter Wissing angestrebt wird. Die neuen Regelungen verlangen unter anderem auch von kleineren Schiffen, Yachten und Beibooten ein Schiffsicherheitszeugnis. Ursprünglich war dies eine Anforderung, die der kommerziellen Schifffahrt entspricht. Bisher waren Fahrzeuge mit einer Länge bis etwa 35 Metern davon ausgenommen. Diese Verschärfung führt nicht zu mehr Sicherheit an Bord, da die Regelungen für Frachtschiffe nicht auf die Einsatzzwecke ziviler Seenotrettung zugeschnitten sind und bestehende Sicherheitsstandards ziviler Rettungsschiffe teilweise unterlaufen. Infolgedessen droht die Seenotrettung drastisch eingeschränkt zu werden.
Auch in Griechenland wird zivilen Seenotrettern die Arbeit erschwert. Die griechischen Behörden werfen ihnen Spionage, Schlepperei und Mitgliedschaft in einem kriminellen Netzwerk vor. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung soll ultimativ zur Abschreckung weiterer Migranten dienen und jegliche Empathie für die Aktivisten unterbinden.
Zum jetzigen Zeitpunkt scheint eine Seenotrettungsmission europäischer Staaten eine Wunschvorstellung. Die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen zeigen eindeutig, dass mit allen Mitteln die Abschottung der Festung Europa in den Vordergrund des Handelns gerückt ist. Sowohl Nationalstaaten als auch die Europäische Union schauen sehenden Auges hin, wie Menschenleben hinter wirtschaftliche und politische Interessen treten.