Seenotretter bergen weitere 95 Geflüchtete

Das Migazin vom 27.01.2023 berichtet: Die „Ocean Viking“ hat 95 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. Wie die Hilfsorganisation SOS Méditerranée am Mittwochabend auf Twitter mitteilte, sind nach Angaben der Überlebenden vor der Ankunft des Rettungsschiffes mindestens vier Personen ins Wasser gefallen. Das Boot war demnach in internationalen Gewässer vor Libyen in Seenot geraten.

Die Crew habe stundenlang nach den Vermissten gesucht, erklärte „SOS Méditerranée“. Während des Einsatzes sei die libysche Küstenwache an das in Seenot geratene Boot herangefahren und habe dadurch die Sicherheit der Teams und Überlebenden gefährdet.

Auch die „Geo Barents“, die von „Ärzte ohne Grenzen“ betrieben wird, hatte am Dienstag und Mittwoch bei drei Einsätzen 237 Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer gerettet. Die Hilfsorganisation kritisierte, dass die italienischen Behörden dem Schiff den weit entfernten nördlichen Hafen La Spezia zugewiesen hätten.

„Geo Barents“ rettet 168 Geflüchtete im Mittelmeer

Das Migazin vom 26.01.2023 berichtet: Die „Geo Barents“ von „Ärzte ohne Grenzen“ hat am Mittwoch im Mittelmeer 168 Geflüchtete und Migranten aus Seenot gerettet. Wie die Hilfsorganisation am Mittwoch auf Twitter mitteilte, wurden zunächst 61 Menschen an Bord genommen. Bei einem zweiten Einsatz in internationalen Gewässern nahe Libyen seien 107 weitere Schutzsuchende gerettet worden. Unter den Überlebenden seien Dutzende Minderjährige.

Bereits am Dienstag hatte die Crew der „Geo Barents“ 69 Geflüchtete in internationalen Gewässern nahe Libyen gerettet. Insgesamt seien nun 237 Geflüchtete und Migranten aus 22 Ländern an Bord.

Nach Angaben der Hilfsorganisation hatten die italienischen Behörden der „Geo Barents“ kurz nach der ersten Rettung am Dienstag den nördlichen Hafen La Spezia zugewiesen. Dieser sei 100 Stunden Fahrtzeit vom Rettungsort entfernt, kritisierte „Ärzte ohne Grenzen“. Vor den Rettungen am Mittwoch sei das Schiff bereits auf dem Weg Richtung Norden gewesen.

Bereits 33 Tote seit Jahresbeginn

Sea-Eye berichtet am 26.01.2023: Am Donnerstagvormittag, 26.01.2023, startete die SEA-EYE 4 zu ihrem ersten Rettungseinsatz in 2023. Ermöglicht wurde der inzwischen elfte Einsatz des Bündnisschiffes durch die große Spendenbereitschaft in den vergangenen Wochen und eine Förderung durch das zivile Seenotrettungsbündnis United4Rescue. Die akute Notwendigkeit für Rettungseinsätze ergibt sich bereits mit einem Blick auf die aktuellen Todeszahlen für das laufende Jahr: Insgesamt starben mindestens 33 Menschen im Mittelmeer.

Heute sind schon mehr Menschen an Europas Grenzen ums Leben gekommen, als das neue Jahr Tage hat! Dank der erhöhten Spendenbereitschaft der vergangenen Wochen können wir diesen wichtigen Rettungseinsatz durchführen. Dafür sind wir allen Unterstützer*innen sehr dankbar“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. „Die fünf weiteren für 2023 geplanten Rettungsmissionen sind noch nicht sicher finanziert und hängen deshalb am seidenen FadenWir sehen schon heute, dass wir auch in 2023 dringend im zentralen Mittelmeer gebraucht werden, weil die EU-Mitgliedsstaaten weiterhin nichts gegen das Sterben an unseren Meeresgrenzen unternehmen.

Erklärung: Mehr Tote im Mittelmeer durch neues italienisches Regierungsdekret

Auf der Webseite von Sea Watch, 05.01.2023: Wir, zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Such- und Rettungsaktivitäten im zentralen Mittelmeer einsetzen, sind äußerst besorgt über den jüngsten Versuch einer europäischen Regierung, zivile Seenotrettungsorganisationen daran zu hindern, Menschen aus Seenot zu retten.

Ein neues Gesetzesdekret, das am 2. Januar 2023 vom italienischen Präsidenten Sergio Mattarella unterzeichnet wurde, wird die Rettungskapazitäten auf See reduzieren und damit das zentrale Mittelmeer, eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt, noch gefährlicher machen. Das Dekret zielt vordergründig auf Seenotrettungsorganisationen ab, doch den wahren Preis werden die Menschen zahlen, die über das zentrale Mittelmeer fliehen müssen und in Seenot geraten.

Seit 2014 füllen zivile Rettungsschiffe die Lücke, die europäische Staaten nach der Einstellung ihrer staatlich geführten Seenotrettungseinsätze bewusst hinterlassen haben. Zivile Organisationen haben seitdem eine wesentliche Rolle dabei gespielt, diese Lücke zu schließen und weitere Tote auf See zu verhindern, wobei sie sich konsequent an geltendes Recht halten.

Trotzdem haben EU-Mitgliedstaaten – allen voran Italien – jahrelang versucht, zivile Such- und Rettungsaktivitäten durch Diffamierung, administrative Schikanen und Kriminalisierung von Seenotrettungsorganisationen und Aktivistinnen zu behindern.

Es gibt bereits einen umfassenden Rechtsrahmen für Such- und Rettungsmaßnahmen, nämlich das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) und das Internationale Seenotrettungsübereinkommen (SAR-Konvention). Die italienische Regierung hat jedoch eine weitere Reihe von Vorschriften für zivile Rettungsschiffe eingeführt, die Rettungsmaßnahmen behindern und Menschen in Seenot weiter gefährden.

Unter anderem verlangt die italienische Regierung von zivilen Rettungsschiffen, dass sie nach jeder Rettung sofort nach Italien fahren. Dies verzögert weitere Rettungsaktionen, da die Schiffe in der Regel mehrere Rettungseinsätze über einige Tage hinweg durchführen. Die Anweisung an zivile Seenotrettungsorganisationen, sofort einen Hafen anzulaufen, während sich andere Menschen in Seenot befinden, widerspricht der im SRÜ verankerten Pflicht von Kapitän;innen, Menschen in Seenot unverzüglich Hilfe zu leisten.

Dieser Teil des Dekrets wird durch die jüngste Strategie der italienischen Regierung verschärft, häufig weit entfernte Häfen zuzuweisen, die bis zu vier Tage Fahrt von der jeweiligen aktuellen Position des Schiffes erfordern.

Beide Faktoren führen dazu, dass zivile Rettungsschiffe über längere Zeiträume aus dem Rettungsgebiet ferngehalten werden und dort weniger Menschen aus Seenot retten können. Die zivilen Seenotrettungsorganisationen sind aufgrund eines fehlenden staatlichen Seenotrettungsprogramms bereits überlastet, und die geringere Präsenz von Rettungsschiffen wird unweigerlich dazu führen, dass mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Ein weiteres, durch das Dekret aufgeworfenes Problem ist die Verpflichtung, an Bord von Rettungsschiffen Daten von Überlebenden zu sammeln, die beabsichtigen internationalen Schutz zu beantragen und diese Informationen mit den Behörden zu teilen. Es ist die Pflicht von Staaten, Asylgesuche zu registrieren und entsprechende Verfahren einzuleiten, ein privates Schiff ist dafür nicht der geeignete Ort. Wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) kürzlich klarstellte, sollten Asylanträge nur an Land bearbeitet werden, nachdem die Geflüchteten an einem sicheren Ort an Land gehen konnten und ihre dringendsten Bedürfnisse erfüllt wurden.[1]

Das italienische Dekret verstößt gegen internationales Seerecht, die Menschenrechte und europäisches Recht und sollte daher eine starke Reaktion der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, der europäischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen hervorrufen.

Wir, zivile Organisationen, die Seenotrettungseinsätze im zentralen Mittelmeer durchführen und unterstützen, fordern die italienische Regierung auf, ihr neu erlassenes Dekret unverzüglich zurückzuziehen. Wir rufen auch alle Abgeordneten des italienischen Parlaments auf, bei der Abstimmung gegen das Dekret zu stimmen und damit zu verhindern, dass es in ein Gesetz umgewandelt wird.

Wir brauchen keine neue, politisch motivierte Verordnung , die Such- und Rettungsaktivitäten behindert. Stattdessen fordern wir, dass EU-Mitgliedstaaten sich endlich an den bestehenden völkerrechtlichen Rahmen halten und zivilen Seenotrettungsorganisationen ermöglichen, ihre Einsätze ohne staatliche Behinderung durchführen zu können.

Unterzeichnende Seenotrettungsorganisationen:

  • Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières/Doctors Without Borders (MSF)
  • EMERGENCY
  • Iuventa Crew
  • Mare Liberum
  • MEDITERRANEA Saving Humans
  • MISSION LIFELINE
  • Open Arms
  • r42-sailtraining
  • ResQ – People Saving People
  • RESQSHIP
  • Salvamento Marítimo Humanitario
  • SARAH-SEENOTRETTUNG
  • Sea Punks
  • Sea-Eye
  • Sea-Watch
  • SOS Humanity
  • United4Rescue
  • Watch the Med – Alarm Phone

Mitunterzeichnende:

  • Borderline-Europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
  • Human Rights at Sea

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[1] UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), Legal considerations on the roles and responsibilities of States in relation to rescue at sea, non-refoulement, and access to asylum, 1. Dezember 2022, abrufbar unter: https://www.refworld.org/docid/6389bfc84.html.

Hürden im Kampf gegen Kriminalisierung von Seenotrettung

Das Migazin vom 11.01.23 berichtet: Mit der Gerichtsverhandlung gegen die Crew des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ wird die Solidarität mit Flüchtenden in Italien weiter kriminalisiert. Die neuesten Entwicklungen reihen sich ein in Maßnahmen, die die italienische Regierung jüngst gegen die Ankunft von Flüchtenden ergriffen hat.

Das Verfahren gegen die angeklagten Seenotretter:innen in Trapani auf Sizilien geht weiter. Den Angeklagten wird vorgeworfen, durch die Zusammenarbeit mit lybischen Schleppern, Menschen bei der unautorisierten Einreise nach Italien unterstützt zu haben. Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelte fünf Jahre lang mit teils fragwürdigen Methoden und eröffnete im Mai 2022 schließlich das Vorverfahren zur Gerichtsverhandlung. Den Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Beim Prozess kam es bisher immer wieder zu Verzögerungen und Termine wurden verschoben, weil es vonseiten der Staatsanwaltschaft zu diversen Verfahrensfehlern kam. Darüber und weitere Schritte, die ein faires Verfahren sicherstellen sollen, wurde kurz vor Weihnachten (19. Dezember 2022) in Trapani entschieden. Danach haben alle Angeklagten das Recht, zusätzliche sprachliche Unterstützung zu erhalten, um eine aktive Partizipation im Verfahren sicherzustellen. Nachdem eine Vernehmung aufgrund von Verständigungsproblemen abgebrochen werden musste, hatte die Verteidigung dahingehende Unterstützung beantragt.