Ertrunken an der Südgrenze Europas

Medecins sans Frontières berichten am 11.07.2022: Die Geo Barents ist das achte Schiff, von dem aus Teams von Ärzte ohne Grenzen Such- und Rettungsaktionen durchführen. Ende Juni hatte das Schiff und seine Besatzung ein Jahr Einsatz hinter sich – Zeit für eine Bilanz. In 12 Monaten haben unsere Teams 3138 Menschen gerettet und 6536 medizinische Sprechstunden abgehalten.

Die tragische Rettungsaktion von vergangener Woche hat gezeigt, dass die Situation an der Südgrenze Europas nach wie vor dieselbe ist: Abschreckungspolitik und unterlassene Hilfeleistungen im Meer sind zum Courant normal geworden. Die Entscheidung Europas, die Such- und Rettungsaktionen einzustellen und auf erzwungene Rückführungen zu setzen, verursacht weiterhin grosses Leid. Tausende Menschen sterben an den Aussengrenzen.

Die Zahlen sprechen für sich: Von 2017 bis 2021 sind mindestens 8500 Menschen gestorben oder als vermisst gemeldet worden. 95 000 Personen sind nach Libyen zurückgeführt worden, 32 425 allein im Jahr 2021 – so viele wie noch nie zuvor. In Libyen erleben die geretteten Menschen willkürliche Inhaftierungen, Entführungen, Misshandlungen und Folter. Viel zu oft kommt es zu Todesfällen.

Es ist dringend notwendig, dieser tödlichen Migrationspolitik ein Ende zu setzen. Und es ist möglich! Dies hat Europa angesichts der Krise in der Ukraine eindrücklich bewiesen. Der Schutz des Lebens muss für alle gelten – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder politischer Zugehörigkeit. Menschen, die in Europa Schutz und Sicherheit suchen, haben Anspruch auf eine menschenwürdige Behandlung, die ihre Rechte und ihre Würde respektiert.

Griechenland muss Flüchtlingen 330.000 Euro Entschädigung zahlen

Das Migazin berichtet am 08.07.2022:

Beim Untergang eines Flüchtlingsbootes, bei dem 2014 elf Menschen starben, haben die griechischen Behörden nicht alles getan, um die Insassen zu retten. Damit sei Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention – das Recht auf Leben – verletzt worden, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Donnerstag in Straßburg. Auch seien die Überlebenden erniedrigt worden. Griechenland müsse den 16 Klägern insgesamt 330.000 Euro Entschädigung zahlen.

Am 20. Januar 2014 war in der Ägäis ein Fischerboot mit 27 Flüchtlingen untergegangen. Die Kläger, 13 Afghanen, zwei Syrer und ein Palästinenser, waren an Bord und machten die griechische Küstenwache für den tödlichen Unfall verantwortlich. Das Schiff der Küstenwache sei mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen, um die Flüchtlinge in Richtung türkischer Gewässer zurückzudrängen, was zum Kentern des Fischerboots geführt habe. Nach Angaben der griechischen Behörden kenterte das Boot dagegen aufgrund von Panik an Bord.

Weil es gravierende Mängel in den Ermittlungen gab, könne der EGMR die genauen Umstände des Untergangs des Schiffes nicht klären, erläuterte das Gericht. Die Kläger hatten aber insbesondere gerügt, dass der gesamte Einsatz der Küstenwache nicht so durchgeführt worden sei, dass der Schutz ihres Rechts auf Leben und das ihrer Angehörigen gewährleistet gewesen sei. Hier gab ihnen das Gericht recht. (epd/mig)

Was treibt Frauen zur lebensgefährlichen Mittelmeer-Flucht mit Kindern?

Das Migazin berichtet am 04.07.2022:

Bei der jüngsten Rettungsaktion der „Geo Barents“ sind mindestens 30 Menschen ertrunken, darunter acht Kinder. Nach Aussagen der Hebamme Stefanie Hofstetter ist es die pure Verzweiflung, die Frauen dazu führt, ihre Kinder dem Risiko einer solchen Überfahrt auszusetzen. „Die Frauen, die wir an Bord haben, sagen, sie haben eigentlich keine andere Wahl“, sagte Hofstetter, die das medizinische Team der „Geo Barents“ leitet, dem „Evangelischen Pressedienst“ nach einer dramatischen Rettung.

„Sie werden in ihren Heimatländern verfolgt.“ Sie flöhen vor Zwangsverheiratung, sexualisierter Gewalt oder Gewalt in der Ehe. Ein großes Thema sei auch Genitalverstümmelung. „Sie verlassen ihr Land mit ihren Mädchen, weil sie sagen, sie wollen nicht, dass das ihrem Kind passiert.“

Hofstetter arbeitet für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, die die „Geo Barents“ betreibt. „Die meisten Frauen haben mehrfach sexualisierte Gewalt erlebt, in ihren Heimatländern, aber besonders auch in Libyen.“ Aber auch Männer erlitten dort derartige Misshandlungen. In den libyschen Internierungslagern für Geflohene herrschen laut Menschenrechtsorganisationen unfassbare Zustände. Folter und Gewalt sind an der Tagesordnung.

Besonders Frauen und Kinder auf der Flucht sind auf den Straßen jederzeit in Gefahr. „Die Frauen sagen, sie gehen lieber mit ihrem Kind in so ein Boot und haben die Hoffnung, dass sie dadurch ein besseres Leben erreichen, als dass sie in Libyen bleiben oder in ihrem Heimatland und dem Kind passiert so etwas“, erläutert Hofstetter.