Italien durfte Sea-Watch-Schiffe kontrollieren

Das Migazin vom 23.02.2022 berichtet: Die Schiffe der deutschen Seenotrettungsorganisation Sea-Watch dürfen laut dem Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) grundsätzlich in italienischen Häfen kontrolliert werden. Auch das monatelange Festhalten der „Sea-Watch 3“ und „Sea-Watch 4“ war demnach möglicherweise rechtens, wie der EuGH am Dienstag in Luxemburg mitteilte. (AZ: C-14/21 und C-15/21)

Die Organisation Sea-Watch rettet auf dem Mittelmeer Flüchtlinge und Migranten und bringt sie nach Europa. Die Einsätze der deutschen und anderer Rettungsschiffe sind in Italien politisch hochumstritten. Vor diesem Hintergrund hielten die Behörden die „Sea-Watch 3“ und die „Sea-Watch 4“ 2020 und 2021 in den Häfen von Porto Empedocle und Palermo für rund zwei beziehungsweise zwölf Monate fest. Vorangegangen waren jeweils Kontrollen, für die sich Italien auf die EU-Richtlinie über die Hafenstaatkontrolle beruft. Sea-Watch klagte dagegen.

Im Zentrum des Rechtsstreits stehen die Fragen, ob Italien seine Kompetenzen überschritten hat und ob die Schiffe als Rettungsschiffe oder Frachtschiffe zu sehen sind. Davon hängt ab, welche Anforderungen gestellt werden können. Genutzt werden die „Sea-Watch 3“ und die „Sea-Watch 4“ zur Seenotrettung, registriert sind sie im Flaggenstaat Deutschland als Frachtschiffe.

Der EuGH-Generalanwalt wies nun darauf hin, dass es zwar im EU-Recht keine Klassifikation als Seenotrettungsschiff gebe. Doch wenn ein Schiff nicht entsprechend seiner Zertifizierung – hier also als Frachter – betrieben werde, könne das Personen, Sachen oder die Umwelt gefährden. Grundsätzlich könne es daher auch im Hafen festgehalten werden.

Gleichzeitig machte der Generalanwalt klar, dass eine schematische Gegenüberstellung zwischen der Zahl der für ein Frachtschiff normalerweise zulässigen Personen und der Zahl der Beförderten einschließlich der Flüchtlinge und Migranten nicht ausreicht. Vielmehr müsse Italien jeweils den Einzelfall prüfen. Die Kontrolle dürfe nicht in die Zuständigkeit des Flaggenstaats eingreifen und die Erfüllung der Pflicht zur Seenotrettung nicht beeinträchtigen.

Die EuGH-Richter müssen den Schlussanträgen der Generalanwälte nicht folgen, tun es aber oft. Im Licht des Urteils muss dann Italiens Justiz den Fall abschließen. (epd/mig)

The Mediterranean Graveyard

Europe must act berichtet am 25.02.2022:

“you have to understand,

that no one puts their children in a boat

unless the water is safer than the land

Warsan Shire, Home

For refugees and asylum seekers attempting to enter Europe, sea crossings are a common yet highly dangerous practice. These crossings have also been increasingly criminalized with individuals facing charges for seeking asylum, as is the case for The Samos2 and for life-saving efforts, as in the Free Humanitarians case.


In Greece, this has forced organizations conducting Search and Rescue operations and human rights monitoring on the border to largely end their work in these roles resulting in increased illegal practices including the now-common tactic of ‘pushbacks’, where dinghies are pushed back away from Europe. Violent pushback tactics are both illegal and dangerous.

European and international law establishes that every human being has the fundamental right to seek asylum based on the principle of non-refoulement, namely that every person must not be returned to a country where he or she faces risks of persecution, torture, inhuman or degrading treatment. Furthermore, every person has the right to claim asylum regardless of how they have entered the country, be it legally or irregularly.

Frontex als „Speerspitze“ einer neuen Grenzpolitik

Das Migazin vom 21.02.2022 berichtet: Die EU-Innenminister:innen sind dem Vorschlag von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron gefolgt und haben auf ihrer jüngsten Tagung in Lille die Einrichtung eines Schengen-Rates beschlossen. Die französische EU-Präsidentschaft nennt ihn das „am besten geeignete Forum für einen wesentlichen Meinungsaustausch auf politischer Ebene“, heißt es in einem Dokument, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch am Donnerstag veröffentlicht hat. Er konstituiert sich beim kommenden Ratstreffen für Justiz und Inneres am 3. und 4. März in Brüssel.

Als Steuerungsgruppe soll der Schengen-Rat die Situation an den EU-Außengrenzen beobachten und mit Maßnahmen innerhalb des Schengen-Raums verzahnen. Auf diese Weise sollen die Mitgliedstaaten die weitere Aushöhlung der Freizügigkeit verhindern und für eine Reduzierung der Binnengrenzkontrollen sorgen. Deren temporäre Wiedereinführung ist zwar nach dem Schengener Grenzkodex erlaubt, seit 2015 machen einige Staaten davon jedoch exzessiv Gebrauch.

Dem Schengen-Raum gehören derzeit 22 EU-Staaten an (Nichtmitglieder sind Irland, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Zypern), außerdem Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein. Die Innenminister:innen aller 26 Mitglieder treffen sich regelmäßig im Gemischten Ausschuss, in dem relevante Fragen des sogenannten Schengen-Besitzstandes behandelt und beschlossen werden.

Der Gemischte Ausschuss soll den rechtlichen Rahmen für den Schengen-Rat bilden; welches Gewicht die Nicht-EU-Länder dort erhalten, ist aber noch unklar. Diskussionen über die Ein- und Ausrichtung des Schengen-Rates führen die EU-Mitglieder im Strategischen Ausschuss für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen, auf dessen jüngster Sitzung stand das Thema als „Vertrauen in den Schengen-Raum“ auf der Tagesordnung.

Der Schengen-Rat soll auch die Reaktion auf „Krisen“ festlegen. Dem Vorschlag zufolge würde dies auch andere Agenturen betreffen, darunter Frontex, deren Leitlinien das neue Gremium mindestens einmal im Jahr „erörtern“ soll. Damit könnten die Innenminister:innen im Schengen-Rat eine Parallelstruktur zum Verwaltungsrat von Frontex bilden, der aus hochrangigen Beamt:innen aller Schengen-Staaten sowie der Kommission besteht und politische und strategische Entscheidungen zur Ausrichtung der Grenzagentur trifft.

Anders als der EU-Vorsitz soll der Schengen-Rat nicht von rotierenden Regierungen beaufsichtigt werden, sondern durch einem noch zu bestimmenden Schengen-Koordinator. Dieser soll die Treffen des Gremiums vorbereiten und die Umsetzung beschlossener Maßnahmen garantieren.

Für ein umfassendes Lagebild will der Schengen-Rat ein mehrmals im Jahr aktualisiertes „Barometer“ einrichten. Es soll bei der Messung des „Drucks an den Außengrenzen, des Stands der Dinge im Bereich Asyl und Migration, des Stands der Bewegungen innerhalb des Schengen-Raums, der Sicherheitsrisiken und der Gesundheitsrisiken“ behilflich sein. In dem Messinstrument werden verschiedene Risiko- und Bedrohungsanalysen zusammenführt, darunter Lageberichte von Frontex und Europol, des EU-Mechanismus zur Krisenreaktion oder des geheimdienstlichen EU-Lagezentrums INTCEN. In Bezug auf Reisesperren im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise will sich der Schengen-Rat auf Analysen der Europäischen Behörde für die Reaktion auf gesundheitliche Notfälle stützen. Das „Barometer“ soll außerdem die genehmigten Einreisen in den Schengen-Raum, Asylanträge und Einreiseverweigerungen zählen und bewerten, Grundlage wären laut dem Papier aktuelle Zahlen der Eurodac-Datei. Gemessen würden außerdem der „Sättigungsgrad“ von Haft- und Aufnahmekapazitäten für abzuschiebende Asylsuchende.

m Fall einer „Krise“ an einer EU-Außengrenze soll eine Solidaritätsplattform aktiviert werden, an der sich alle Schengen-Staaten beteiligen sollen. Möglich wäre zudem die Entsendung von Polizeien aus einzelnen, willigen Mitgliedstaaten im Rahmen der Prüm-Beschlüsse. Der 2008 geschlossene Vertrag ermöglicht gemeinsame Streifen oder Einsätze bei polizeilichen Großlagen, wobei die entsandten Beamt:innen im Gaststaat auch hoheitliche Befugnisse wahrnehmen dürfen.

Im Mittelpunkt der Solidaritätsplattform steht Frontex. Die Grenzagentur errichtet nach einer Änderung ihrer Verordnung 2019 eine eigene Grenztruppe mit 10.000 Beamt:innen, die zu einem großen Teil von Frontex in Warschau selbst uniformiert, bewaffnet und kommandiert wird. Diese Ständige Reserve wird in dem Papier des französischen EU-Vorsitzes als „Speerspitze unseres Grenzschutzes“ bezeichnet. Sie könnte demnach für „alle Arten von Notsituationen“ eingesetzt werden. Diese seien häufig „gemischter Natur, da sie Migrationsrisiken, Sicherheitsrisiken, Fragen des Zivilschutzes und der Verteidigung miteinander verbinden“.

Nach einer Woche an Bord gehen 247 Flüchtlinge an Land

Das Migazin vom 21.02.2022 berichtet: Das Seenotrettungsschiff „Ocean Viking“ hat die Rettung von 247 Flüchtlingen am Sonntag erfolgreich abgeschlossen. Bis zum Mittag gingen alle Geretteten im Hafen von Pozzallo auf Sizilien an Land, wie die Betreiberorganisation des Schiffs, SOS Méditerranée, auf Twitter mitteilte. Italien hatte der „Ocean Viking“ den Hafen am Samstag zugewiesen.

In fünf Rettungsaktionen hatte die „Ocean Viking“ die Menschen, darunter Dutzende Minderjährige, rund eine Woche zuvor von seeuntüchtigen Booten geholt. Die Frauen, Kinder und Männer hätten versucht, das Meer bei winterlichen Bedingungen zu überqueren, „weil sie keinen anderen Ausweg haben“, erklärte SOS Méditerranée.

Die „Sea-Watch 4“ rettete unterdessen bei zwei Aktionen am Samstag insgesamt 129 Menschen. Nachdem das Schiff am frühen Morgen ein Boot in Seenot gesichtet und die 121 Passagiere gerettet hatte, folgte am Abend ein weiterer Rettungseinsatz, bei dem acht Menschen vor dem Ertrinken bewahrt wurden, wie die Organisation Sea-Watch auf Twitter mitteilte. Die „Sea-Watch 4“ war am Freitag in ihrem Einsatzgebiet, der libyschen Seenotrettungszone, angekommen.

Grenzschützer sollen Flüchtlinge ins Meer geworfen haben

Das Migazin vom 18.02.2022 brichtet: Nach Recherchen des „Spiegels“ und weiterer Medien sollen griechische Grenzschützer im September 2021 drei Flüchtlinge ins Meer geworfen haben, von denen zwei ertrunken sind. Die Männer wurden demnach auf der Insel Samos von der Küstenwache aufgegriffen, auf die Ägäis hinausgefahren und dort ins Wasser gezwungen, wie das Magazin schreibt. Endgültige Beweise gebe es nicht, aber glaubwürdige Indizien.

Hauptzeuge des „Spiegels“ ist der dritte der Männer, der in der Türkei interviewt wurde. Die drei hätten seiner Schilderung zufolge in einer größeren Gruppe aus der Türkei heimlich nach Samos übergesetzt. Nach ihrem Ergreifen seien die drei geschlagen und in einem Schnellboot aufs Meer hinausgefahren worden, wo sie über Bord geworfen worden seien. Er selbst konnte demnach ans türkische Ufer schwimmen, die beiden anderen wurden dort tot geborgen.

Von der Türkei aus versuchen immer wieder Menschen, über die Ägäis nach Griechenland und so in die EU zu gelangen. Dabei soll es nach Berichten von nichtstaatlichen Organisationen und Medien vielfach zu illegalen Pushbacks und dem Aussetzen auf aufblasbaren Flößen durch Grenzschützer gekommen sein. Bereits das hatte Empörung ausgelöst. Das Überbordwerfen hätte aber eine neue Qualität.

Flüchtlinge haben nach tagelangem Ausharren Rettungsschiff verlassen

Das Migazin vom 31.01.2022 berichtet: Alle 439 Flüchtlinge an Bord des von „Ärzte ohne Grenzen“ betriebenen Rettungsschiffes „Geo Barents“ sind in Italien an Land gegangen. „Alle Überlebenden haben die #GeoBarents verlassen und haben nun die Möglichkeit, Zugang zu medizinischer Versorgung, Dienstleistungen und Sicherheit zu erhalten, die sie benötigen“, teilte die Hilfsorganisation am Samstag auf Twitter mit.

Am Freitag hatte die „Geo Barents“ den sizilianischen Hafen Augusta zugewiesen bekommen. Die Crew der „Geo Barents“ hatte die Flüchtlinge und Migranten seit Mittwoch vergangener Woche bei mehreren Einsätzen im Mittelmeer gerettet und tagelang auf die Zuweisung eines Hafens gewartet. Unter den Geretteten waren nach Angaben der Hilfsorganisation 112 Minderjährige. Alle Überlebenden seien aus Libyen geflohen.