Elend der Flüchtlinge in Libyen nicht länger hinnehmen

Das Migazin berichtet am 28.01.2022: Menschenrechtler fordern die Europäische Union zur Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge aus Libyen auf. Die EU müsse genügend Aufnahmeplätze für die gepeinigten Flüchtlinge und Migranten in dem nordafrikanischen Land bereitstellen, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Appell, der unter anderem von dem Globalisierungskritiker und früheren UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler sowie der Frankfurter Hilfsorganisation Medico International unterzeichnet wurde.

Libyen ist ein Haupttransitland für Flüchtlinge und Migranten auf dem Weg nach Europa. Nach UN-Angaben leben Zehntausende Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land. In teils von Milizen betriebenen Internierungslagern drohen den Schutzsuchenden Folter und andere Menschenrechtsverletzungen. Anfang Oktober wurden nach Angaben der Vereinten Nationen und von Hilfsorganisationen Tausende Flüchtlinge in Libyen verhaftet und in Internierungslager gebracht.

Laut Medico International wurden Anfang Januar Hunderte Schutzsuchende, die aus Protest gegen die Razzien vor einer Zweigstelle des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Tripolis campiert hatten, von den Behörden unter Einsatz von Schusswaffen festgenommen. Der Umgang mit dem Protestcamp zeige, dass in Libyen für Flüchtlinge und Migranten keine Sicherheit gebe, heißt es in dem Appell, der auch von der zivilen Seenotretterin Carola Rackete und dem Autor und Regisseur Milo Rau unterstützt wird.

Rückblick auf das Sea Watch Jahr 2021

Sea Watch berichtet am 27.01.2022: Während in Europa Weihnachten gefeiert wurde, patrouillierte die Crew unserer Sea-Watch 3 im Einsatzgebiet vor der Küste Libyens. Insgesamt 446 Personen konnte unsere Crew in den Weihnachtstagen 2021 in fünf Rettungseinsätzen von seeuntauglichen Booten retten. Eine Woche dauerte es, bis sie mit Pozzallo in Italien schließlich einen sicheren Hafen zum Einlaufen erhielten.

Voller Tatendrang planen wir bereits die Einsätze im neuen Jahr, doch zunächst wollen wir noch einmal innehalten und Bilanz ziehen: Insgesamt konnten wir im Jahr 2021 in sechs Rettungsmissionen über 2400 Menschen vor dem Ertrinken bewahren. Unsere Aufklärungsflugzeuge konnten zudem in über 120 Einsätzen von der Luft aus Ausschau nach Booten in Not halten, zivile Schiffe vor Ort unterstützen und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren.

Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne die zahlreichen Menschen, die sich bei Sea-Watch hinter den Kulissen engagieren. Sie alle tragen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen einen Teil dazu bei, dass wir seit 2015 an der Rettung von über 40.000 Menschen aus Seenot beteiligt waren. In den nächsten Monaten wollen wir einige unserer Aktivist:innen in unserem Newsletter zu Wort kommen lassen und ihre unschätzbare Arbeit sichtbar machen. Den Anfang macht heute Max vom Fundraising-Team. Er ist seit zwei Jahren Ansprechperson für unsere Fördermitglieder, die mit ihren regelmäßigen Spenden sicherstellen, dass wir unsere Einsätze langfristig und sicher planen können. Mehr zu seiner Arbeit bei Sea-Watch erfährst Du hier.


Weitere Rettungen aus Seenot im Mittelmeer

Das Migazin vom 24.01.2022 berichtet: Über 700 Geflüchtete sind in den vergangenen Tagen von privaten Rettungsschiffen vor dem Ertrinken gerettet worden. Sie brauchen einen Hafen, um an Land zu gehen. Die „Geo Barents“ hat am Freitag weitere Menschen im Mittelmeer gerettet. Die Besatzung habe im fünften und sechsten Einsatz insgesamt 75 Menschen aus nicht seetauglichen Booten an Bord genommen, erklärte die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die das Schiff betreibt, am Freitag. Zwölf der Geflüchteten seien Kinder. Insgesamt kümmere sich die Crew nun um 439 Gerettete. Zusammen mit den Flüchtlingen an Bord der „Mare Jonio“ und der „Louise Michel“ warten mehr als 700 Menschen, die in den vergangenen Tagen aus Seenot gerettet wurden, dass sie in Europa an Land gehen können.

Hunderte Menschen im Mittelmeer gerettet

Das Migazin berichtet am 21.01.2022: Private Seenotrettungsinitiativen haben innerhalb von 24 Stunden mehr als 450 Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet. Die Besatzung der „Geo Barents“ von „Ärzte ohne Grenzen“ nahm bei einem zweiten Einsatz weitere 109 Flüchtlinge an Bord, wie die Organisation am Donnerstag erklärte. Am Mittwoch hatte sie bereits 87 Geflüchtete aus einem überfüllten Schlauchboot gerettet.

Die Crew der „Mare Jonio“ der italienischen Organisation Mediterranea Saving Humans forderte mit 208 Geretteten an Bord die Zuweisung eines Hafens. Die Besatzung hatte die Menschen demnach in zwei Einsätzen an Bord geholt, zuletzt am Donnerstagmorgen 107 Überlebende aus einem Holzboot, darunter 14 Frauen und zwei Kinder unter einem Jahr. In der Nacht davor hatte sie die anderen rund 100 Frauen, Männer und Kinder in einer vierstündigen Operation aus einem sinkenden Holzboot gerettet. Einige der Insassen seien bereits über Bord gegangen, hätten aber ebenfalls gerettet werden können.

Die vom Street-Art-Künstler Banksy unterstützte „Louise Michel“ rettete am Donnerstag 62 Flüchtlinge aus einem Schlauchboot in Seenot. Darunter seien mehrere Kinder und Babys, erklärte die Besatzung des Schnellbootes über Twitter. Die meisten Geretteten seien erschöpft und traumatisiert, aber erleichtert, überlebt zu haben.

Bei mehreren dieser Einsätze war der Hilferuf der Menschen in Seenot über die Not-Hotline der Initiative „Alarm Phone“ eingegangen, die im Anschluss die Küstenwachen der europäischen Mittelmeeranrainer und die privaten Initiativen informiert. Die Menschen fliehen aus Libyen, wo die Bedingungen für Flüchtlinge gefährlich und menschenverachtend sind. In den Camps der libyschen Behörden herrschen Gewalt und Not.

Seenotrettungsschiff „Ocean Viking“ in Sizilien festgesetzt

Das Migazin berichtet am 13.01.2022: Das Seenotrettungsschiff „Ocean Viking“ ist von den italienischen Behörden erneut festgesetzt worden. Bei der Inspektion im Hafen von Trapani in Sizilien sei eine fehlerhafte Registrierung von Container-Aufbauten bemängelt worden, teilte die Betreiberorganisation „SOS Méditerranée“ am Dienstagabend mit. Die Kontrolleure hätten die Zertifizierung der Container, die zum Schutz von Geretteten und als Lagerort für Rettungsgerätschaften dienten, als Ladung infrage gestellt – zweieinhalb Jahre nach dem Einbau und der Zustimmung aller zuständigen Stellen.

„Gerade einmal gut ein Jahr nach der Freigabe des Schiffes nach fünfmonatiger Festsetzung durch die Behörden ist die ‚Ocean Viking‘ wieder festgesetzt“, protestierten die Seenotretter. Damit werde der nächste Einsatz wiederum verzögert, betonte Operationschef Frédéric Penard. Dabei sei 2021 bereits das tödlichste Jahr auf der Fluchtroute im zentralen Mittelmeer seit 2017 gewesen. „Allein im vergangenen Monat ertranken mindestens 240 Menschen vor der Türschwelle Europas.“ Private Seenotrettungsschiffe seien unabdingbar, um solche Schicksale zu verhindern.

Im Juli 2021 hatten italienische Behörden das Schiff mit der Begründung festgesetzt, es habe mehr Personen befördert, als im Schiffszertifikat angegeben. Dabei handele sich allerdings um Menschen, die vor dem Ertrinken gerettet wurden. Nach internationalem Seerecht ist die Rettung von Menschen in Seenot Pflicht.

Unwort des Jahres 2021:„Pushback“

Das Migazin vom 13.01.2022 berichtet: Das Unwort des Jahres 2021 lautet „Pushback“. Mit dem englischen Begriff für „zurückdrängen, zurückschieben“ werde die Praxis von Europas Grenztruppen beschrieben, Flüchtende an der Grenze zurückzuweisen, sagte die Jury-Sprecherin Constanze Spieß am Mittwoch in Marburg. Damit werde ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt, der Flüchtenden die Möglichkeit nehme, ihr Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen.

Nach Ansicht der Jury trägt der Gebrauch des Fremdworts zur Verschleierung des Verstoßes gegen die Menschenrechte bei und verschweigt zudem, dass der Akt des Zurückdrängens mit Gewalt verbunden ist und tödlich enden kann. Die Jury kritisierte zudem die in den Medien „unreflektierte Nutzung“ dieses Wortes auch bei Kritikerinnen und Kritikern.

Wie viele Tote denn noch?

Das Migazin berichtet am 10.01.2022: Alle sechs Stunden ertrinkt heute ein Mensch im Mittelmeer. Das tatenlose Zusehen der EU zerstört den Werte-Konsens: Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Dies ist die Geschichte des politischen Versagens Europas und seiner Politiker. Es ist gleichzeitig die Geschichte enttäuschter Hoffnungen, nicht eingelöster Versprechen – und eine Geschichte, die anknüpft an die Flucht- und Weihnachtsbotschaft der Heiligen Familie im Stall von Bethlehem. Heutzutage suchten Maria und Josef frierend und hungernd in den Wäldern des polnischen Grenzgebiets eine Herberge oder brächten ihr Kind, auf der Flucht vor dem kindermordenden Herodes, in einem seeuntüchtigen Holzboot zur Welt. Christus würde heute als „Illegaler“ zur Welt kommen; die Heilige Familie fände kein Asyl in Deutschland und Europa und würde abgeschoben oder ins Exil getrieben.

Dass heute alle sechs Stunden ein Mensch im Mittelmeer ertrinkt, dass die EU und nationale Regierungen wegsehen, wenn Hilfe und Aufnahme suchende Flüchtlinge an den Rändern Europas erfrieren und ins Elend gestoßen werden, zeigt die Missachtung und Geringschätzung des Lebens und der Menschenwürde Tausender – Kinder, Frauen, Männer – durch verantwortliche Akteure im Europa des Jahres 2021.

Graffito Palermo, Marco Stricker, 2018