Ich stehe vor Gericht, weil ich Menschen vor dem Ertrinken bewahrt habe

Sea Watch berichtet am 26.12.2021: Ich bin Sarah und ich komme aus Syrien. 2015 mussten meine kleine Schwester Yusrah und ich unsere Heimat verlassen. Wir flohen nach Europa, damals war ich 20, meine Schwester 17 Jahre alt. Es war stockdunkel, als wir das Meer von Izmir auf dem überfüllten Schlauchboot in Richtung Griechenland überquerten. Irgendwann blieb der Motor stehen. Wasser trat ins Boot und die Leute wurden panisch. Dann schlug jemand vor, ins Wasser zu springen und das Boot zu ziehen. Als professionelle Schwimmerin war für mich klar, dass ich helfen muss…

Wenn man in einem Schlauchboot sitzt, hat man keine Zeit zum Nachdenken. Man muss einfach handeln.

…Also sprang ich ins Wasser, griff das Seil an der Seite des Bootes und fing an zu ziehen. Fünf Minuten später sprang meine Schwester hinterher. Ich glaube, das war der schrecklichste Moment für mich. Dass mir selbst etwas zustoßen könnte, damit hatte ich mich abgefunden. Aber meiner kleinen Schwester? Kein Mensch sollte um das Leben der eigenen Schwester fürchten. Sie schaute mich todernst an und sagte: „Wenn du es kannst, kann ich es auch!“ Das war der Punkt, an dem ich die Realität ganz klar vor mir sah: Ich muss so stark wie möglich sein, das war unsere einzige Möglichkeit zu überleben. Illustrationen: Adrian Pourviseh


Die Fahrt über das Meer ist nur einer von vielen schrecklichen Momenten unserer Flucht, unseres Zurücklassens der Heimat, in der wir aufgewachsen sind. Als wir Wochen später endlich mit dem Bus nach Deutschland fuhren, kamen mir die Tränen. Ich weinte, weil ich mich das erste Mal seit langem wieder wie ein Mensch fühlte, nicht wie ein Flüchtling.

Was ich erlebt habe, hat mich dazu gebracht, wieder zurück nach Lesbos zu gehen, um dort ehrenamtlich als Seenotretterin und Übersetzerin zu arbeiten. 

Denn niemand darf andere Menschen im Meer ertrinken lassen – egal wie, egal wo. 

Ich habe mein Bestes gegeben, den Menschen zu helfen, die dort mit den Booten ankamen. Die genau den gleichen Albtraum erleben mussten wie ich. 2018 wurden ich und andere Helfer:innen verhaftet und wegen angeblichen Menschenhandels, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Spionage angeklagt. Ich saß 107 Tage im Gefängnis.

Wir haben keine illegalen Handlungen begangen. Wir standen am Ufer und haben Decken und Wasser an Überlebende verteilt. Doch anscheinend bin ich in Griechenland bis heute eine „Bedrohung nationaler Sicherheit“. Es ist absurd, wie Flüchtende und Aktivist:innen zur Zielscheibe der Behörden werden. Wie kann es sein, dass ein Mensch dafür verhaftet wird, anderen zu helfen?

Dieses Jahr bin ich als Teil der Sea-Watch-Crew zurück aufs Meer gefahren. Ich werde niemals aufhören, mich mit Menschen auf der Flucht zu solidarisieren! Aber Solidarität bedeutet nicht nur, auf einem Rettungseinsatz mitzufahren. Solidarität bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen. Und wir müssen aufhören, Menschen zu fragen, warum sie aus ihrer Heimat fliehen.

Ich bin es leid, die Frage zu beantworten, warum ich meine Heimat verlassen habe. Ich möchte leben, schlafen und essen können, ohne Bomben zu hören. Das ist mein Recht.

Wenn Ihr Euch für Menschen auf der Flucht einsetzen möchtet, dann schaut Euch in Eurer Stadt um. Informiert Euch darüber, was vor sich geht. Überlegt, wie Ihr die Menschen am besten unterstützen könnt. Hört ihren Geschichten zu. Wir möchten Teil der Lösung sein und der Diskussion darüber, was mit unserer Zukunft geschieht.

Sarah Mardini und ihren Mitstreiter:innen drohen Jahre im Gefängnis, weil sie Menschen in Not geholfen haben. Leben zu retten ist kein Verbrechen. Spende hier für ihre Gerichtskosten.

Verfahren gegen Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete eingestellt

Der Bund berichtet am 24.12.2021: Mit der Entscheidung habe das Gericht «die Notwendigkeit, Leben zu retten, anerkannt», sagte Carola Racketes Anwalt.

Das Verfahren gegen die deutsche Kapitänin und Seenotretterin Carola Rackete in Italien ist eingestellt worden. Ein Gericht habe dem Antrag der Staatsanwaltschaft von Agrigent zugestimmt, die Ermittlungen gegen Rackete fallenzulassen, sagte ein Sprecher der Hilfsorganisation Sea-Watch am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP.

Rackete war im Juni 2019 in Italien festgenommen worden, nachdem sie das Rettungsschiff Sea-Watch 3 mit dutzenden Flüchtlingen an Bord entgegen eines behördlichen Verbots in einen Hafen der Insel Lampedusa gesteuert hatte.

Rackete war damals vorgeworfen worden, bei dem Anlegemanöver in Lampedusa Widerstand gegen ein Schiff der italienischen Küstenwache geleistet zu haben. Drei Tage nach ihrer Festnahme verfügte ein Gericht die Freilassung der Seenotretterin mit dem Argument, dass diese durch ihr Handeln Leben gerettet habe. Dieser Entscheidung schloss sich später auch das oberste italienische Kassationsgericht an. Das ursprüngliche Verfahren gegen Rackete blieb allerdings weiter anhängig.

Grünen-Politiker Marquardt kritisiert EU-Kooperation mit Libyen

Das Migazin vom 23.12.2021 berichtet: Der Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Erik Marquardt, hat die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache scharf kritisiert. Neben der finanziellen Hilfe ermögliche die Unterstützung an der EU-Grenze beispielsweise durch die Weitergabe von Drohnendaten die immer effektivere Arbeit der Einheit, sagte Marquardt dem „Evangelischen Pressedienst“. „Die EU trägt so zu Menschenrechtsverletzungen bei. Mit Seenotrettung hat das nichts zu tun.“

Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hat sich die Zahl der Rückführungen durch die libysche Küstenwache (Pull-Backs) im Jahr 2021 stark erhöht. Demnach wurden seit Januar 31.456 Männer, Frauen und Kinder auf dem Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgebracht, dreimal so viele wie 2020. Das zeige, dass die Arbeit der libyschen Küstenwache effizienter werde, sagte Marquardt. Um mehr Flüchtlinge zurückzwingen zu können, sei die Hilfe der Europäischen Union entscheidend. „Um die libysche Seenotleitstelle zu bestücken, wurde zum Beispiel Technik geliefert“, sagte er.

Die EU schult nach eigenen Angaben die libysche Küstenwache, die weitgehend aus Milizionären besteht, seit 2016. Zusätzlich sorgen Marquardt zufolge auch bilaterale Verträge mit dem nordafrikanischen Land dafür, dass die Küstenwache im Laufe der Jahre besser ausgestattet wurde und immer mehr Fluchtversuche nach Europa verhinderte. Die vielen Pull-Backs seien jedoch nicht nur durch die finanzielle Unterstützung zu erklären. Durch Aufklärungsflüge unterstütze die EU-Grenzschutzagentur Frontex die libysche Küstenwache, sagte Marquardt. Die Agentur melde beispielsweise auf Flügen erfasste Boote nach Libyen. „Auf solche Informationen ist die Küstenwache angewiesen.“

Solche Formen der Kooperation haben laut dem Grünen-Politiker Menschenrechtsverletzungen zur Folge. „Wenn ein Mitarbeiter von Frontex also eine Frau auf einem Boot an die libysche Küstenwache meldet, kann er sich sicher sein, dass sie wenige Tage später über lange Zeit jeden Tag vergewaltigt wird“, sagte er. Eine Rückführung nach Libyen bedeute die Rückkehr in ein Land, in dem Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen leben müssten. „Sie werden zum Beispiel versklavt und sind dort seit Jahren rassistischer Gewalt ausgesetzt.“

214 Menschen auf der SEA-EYE 4 erhalten sicheren Hafen in Pozzallo

Sea Eye berichtet am 23.12.2021: Der SEA-EYE 4 wurde nachmittags am 23.12. ein sicherer Hafen in Pozzallo zugewiesen. Das Rettungsschiff wird den Hafen am 24.12. gegen 07:30 Uhr erreichen. „Wir hoffen, dass die Menschen nun zeitnah an Land gehen dürfen und nicht auch noch die Weihnachtstage an Bord verbringen müssen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. Viele der geretteten Menschen mussten an Bord medizinisch versorgt werden und brauchen auch an Land weiterhin medizinische Behandlung.

Die Crew der SEA-EYE 4 hatte am 16. und 17. Dezember in vier Rettungseinsätzen 223 Menschen in der maltesischen Such-, Rettungs- und Koordinierungszone gerettet, Malta hatte sich jedoch geweigert die Koordinierung zu übernehmen. Während die SEA-EYE 4 eine Woche lang auf einen sicheren Hafen wartete, mussten 9 Personen aus medizinischen Gründen von der italienischen Küstenwache in vier Einsätzen evakuiert werden.

Insgesamt hat die SEA-EYE 4 in 2021 auf 4 Rettungsmissionen über 1400 Menschen gerettet.

„Geo Barents“ rettet Hunderte Menschen aus Seenot

Das Migazin berichtet am 23.12.2021: Die Crew der „Geo Barents“ hat weitere 237 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. Die Menschen wurden von drei in Seenot geratenen Booten aufgenommen, wie die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die das Schiff betreibt, am Mittwoch auf Twitter mitteilte. Bereits am Dienstagabend seien 69 Menschen von einem Schlauchboot gerettet worden. Die Geretteten seien erschöpft und viele von ihnen hätten von Gewalt verursachte Verletzungen. Die „Geo Barents“ hatte bereits in der vergangenen Woche 49 Männer und Frauen aus Seenot gerettet.

Ebenfalls im Mittelmeer waren am Mittwoch weiter die „Sea-Eye 4“ und die „Ocean Viking“ mit zahlreichen Geflüchteten, die bereits seit etwa einer Woche an Bord ausharrten. „216 Menschen warten weiterhin darauf, endlich an Land gehen zu dürfen, während Europa sich in weihnachtlicher Stimmung und Geschenkerausch befindet“, erklärte die Organisation Sea-Eye am Dienstagabend auf Twitter.

Es könne nicht sein, dass die Menschen erst zusammenbrechen, bevor sie an Land dürften, betonte der Sea-Eye-Vorsitzende Gorden Isler. Nach mehreren medizinischen Evakuierungen seien viele weitere Erwachsene und Kinder krank, litten an Verletzungen und starken Schmerzen. Auf der „Ocean Viking“ warteten nach Angaben der Betreiberorganisation SOS Méditerranée 114 Männer, Frauen und Kinder auf die Zuweisung eines Hafens in Europa. Mehr als 200 Kommunen deutschlandweit seien zur Aufnahme von Geflüchteten bereit.

Derweil bestätigte die Internationale Organisation für Migration (IOM) den Schiffbruch von zwei Flüchtlingsbooten vergangenen Freitag und Samstag auf dem Mittelmeer. Mindestens 163 Menschen seien gestorben oder würden vermisst.

Seenotrettungsschiff „Rise Above“ darf anlegen, „Sea Eye“ muss warten

Das Migazin vom 21.12.2021 meldet: Eine halbe Woche nach ihrer Rettung aus Seenot haben 66 Flüchtlinge an Bord der „Rise Above“ Sizilien erreicht. Das Schiff der Dresdner Organisation Mission Lifeline legte am Sonntagabend in Porto Empedocle an, wie die Seenotretter am Montag mitteilten. Die Geretteten sollten nun bald von Bord gehen.

Die Flüchtlinge und Migranten waren am Donnerstag laut Mission Lifeline in der Malta zugewiesenen Zone aus dem Meer gerettet worden. „Eigentlich wäre Malta zuständig gewesen, den Einsatz zu koordinieren und uns einen sicheren Hafen zuzuweisen“, erklärte Sprecher Axel Steier. Doch Malta habe zu keinem Zeitpunkt auf die Meldungen der Organisation reagiert.

Derweil suchte die „Sea-Eye 4“ am Sonntag mit 223 Männern, Frauen und Kindern an Bord vor der Küste Siziliens Schutz vor dem stürmischen Wetter. Unter den Geretteten seien sieben schwangere Frauen und acht Kinder, mehrere Personen benötigten eine medizinische Behandlung, erklärte die Organisation Sea-Eye auf Twitter.

SEA-EYE 4 rettet auf Weihnachtsmission 223 Menschenleben vor aufziehendem Sturm

Sea-Eye berichtet am 17.12.2021: Seitdem die SEA-EYE 4 am Donnerstag, 16.12.2021, in der maltesischen Such- und Rettungszone eintraf, erreichten zahlreiche Meldungen über Boote in Seenot das Rettungsschiff. Insgesamt rettete die Crew der SEA-EYE 4 in vier Rettungseinsätzen 223 Menschen. Unter ihnen sind 29 Frauen, von denen 4 schwanger sind, und 8 Kinder. Die Crew sucht derzeit nach einem weiteren Boot in Seenot.

Obwohl seit gestern noch weitere Boote mit zahlreichen Menschen in akuter Lebensgefahr an Bord auf See gemeldet wurden, hat Malta seine Verpflichtung zur Koordinierung und Rettung von Seenotfällen erneut nicht wahrgenommen. Zivile Seenotrettungsorganisationen sind derzeit die einzigen europäischen Einsatzkräfte, die aktiv nach den Menschen suchen und sie in Sicherheit bringen möchten. Da sich das Wetter voraussichtlich bald deutlich verschlechtern wird, sinken die Überlebenschancen für die sich immer noch auf See befindlichen Menschen deutlich.

Sea Watch und Weihnachten

Sea Watch berichtet am 17.12.2021: Nach sieben Rettungseinsätzen konnten am 26. November die letzten der geretteten Menschen von Bord der Sea-Watch 4 gehen. Über 450 Menschen  haben damit in Augusta, Sizilien einen sicheren Hafen gefunden. Für Doreen, die Teil der Missionscrew war, ist klar: Eine weitere Nacht ohne sicheren Hafen hätte Gäste und Besatzung an ihre Belastungsgrenzen gebracht.

In den Tagen zuvor hatte sich das Wetter extrem verschlechtert. Wellen schwappten über Heck und Bug, sodass die Gäste nass wurden. In der Nacht auf den 26. November kollabierten vier Personen und mussten im Schiffskrankenhaus behandelt werden. Schon zuvor mussten insgesamt 14 Personen aufgrund der Schwere ihrer Verletzungen evakuiert werden.

Abrupte Wetterwechsel, Gewitter und starker Wellengang sind insbesondere in den Wintermonaten keine Seltenheit auf dem Mittelmeer. Doch die Gefahr, die mit einer Überquerung des Mittelmeers in den Wintermonaten einhergeht, hält Menschen nicht davon ab, die gefährliche Route trotzdem auf sich zu nehmen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass auch die zivilen Seenotrettungsschiffe keine Winterpause machen. Während sich die Crew der Sea-Watch 4 von der Mission erholt, arbeiten wir aus diesem Grund bereits auf Hochtouren an den Vorbereitungen für unsere nächste Mission. Unser zweites Rettungsschiff, die Sea-Watch 3, wird derzeit auf ihren nächsten Einsatz vorbereitet. 

Was die Crew der Sea-Watch 3 vor Ort erwartet und welche Besonderheiten mit einem Einsatz auf dem Mittelmeer in den Wintermonaten einhergehen, erzählt Doreen, Teil der Missionscrew der letzten Sea-Watch 4 Mission, hier.

Die Aufgabe, Menschen an der tödlichsten Grenze vor dem Ertrinken zu bewahren, erfüllt die zivile Flotte seit über 6 Jahren – und dies, obwohl uns europäische Staaten immer wieder Steine in den Weg legen. Seien es Repressionen gegen Aktivist:innen oder die Festsetzung unserer Schiffe. Unsere Devise gegen die Versuche, uns und unsere Arbeit zu kriminalisieren? Solidarität mit Flüchtenden und allen, die sich für ihre Rechte einsetzen!

Deswegen gibt es seit 2018 den Sea-Watch Rechtshilfefonds. Er wurde vor dem Hintergrund steigender gerichtlicher Attacken gegen Aktivist:innen, die sich für die Rechte Flüchtender einsetzen, gegründet. Seitdem geht er auf Nummer sicher, dass die finanziellen Kosten der politisch motivierten Angriffe gegen die Zivilgesellschaft und Flüchtende nicht von Einzelpersonen getragen werden müssen. Wie ihre Arbeit in der Praxis aussieht, erfährst Du hier.

Um das ganze Jahr und unabhängig der Jahreszeit Menschenleben an der tödlichsten Grenze der Welt retten zu können, brauchen wir Deinen Rückhalt! Mit einer Geschenkspende kannst Du uns unterstützen und gleichzeitig Freund:innen und Familie das schönste Weihnachtsgeschenk bereiten: Hoffnung auf ein menschlicheres Europa.

„Ocean Viking“ rettet 114 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer

Das Migazin berichtet am 17.12.2021: Das Seenotrettungsschiff „Ocean Viking“ hat am Donnerstagmorgen 114 Menschen an Bord genommen. In der Nacht hatte die Besatzung das Schlauchboot, in dem die Geflüchteten ausharrten, über Stunden gesucht, wie die Betreiberorganisation SOS Méditerranée erklärte. Unter den Geretteten, die in libyschen Gewässern in Seenot geraten seien, sei auch ein elf Tage alter Säugling.

Neben der „Ocean Viking“ befinden sich derzeit auch die „Sea-Eye 4“ der gleichnamigen Organisation sowie die „Rise Above“ der des Dresdner Vereins Mission Lifeline auf dem Weg in ihre Einsatzgebiete auf dem Mittelmeer, um dort über Weihnachten Wache zu halten.

Seenotretter halten Wache über Weihnachten

Das Migazin berichtet am 13.12.2021: Das deutsche Bündnisschiff „Sea-Eye 4“ ist am Samstag vom spanischen Hafen Burriana aus zu seinem vierten Rettungseinsatz aufgebrochen. Das Schiff werde sein Einsatzgebiet vor der Küste Libyens noch vor dem vierten Advent erreichen, sagte ein Sea-Eye-Sprecher dem „Evangelischen Pressedienst“ am Sonntag. Die 25-köpfige Crew kündigte an, Weihnachten im Einsatzgebiet Wache zu halten.

Die „Sea-Eye 4“ ist ein Bündnisschiff, das maßgeblich durch das zivile Seenotrettungsbündnis United4Rescue finanziert wird. Die Weihnachtsmission sei dank Spenden von Menschen möglich geworden, „die nicht einverstanden sind mit der europäischen Abschottungspolitik und nicht mitverantwortlich sein wollen, für das Leid und Sterben an den EU-Außengrenzen“, sagte ein Vorstandsmitglied von United4Rescue.

SOS-Méditerranée-Geschäftsführerin fordert staatliche Seenotrettung

Das Migazin berichtet am 08.12.2021: Die Situation auf dem Mittelmeer hat sich laut der neuen SOS-Méditerranée-Geschäftsführerin Maike Röttger zuletzt verschlechtert. Es habe in den vergangenen Wochen ein „erneut alarmierendes Level der Eskalation“ gegeben, sagte Röttger, die seit dem 1. Dezember Geschäftsführerin von SOS Méditerranée Deutschland ist, dem „Evangelischen Pressedienst“. Zum Beispiel habe die von der EU unterstützte libysche Küstenwache Schiffe von Seenotrettungsorganisationen bedroht.

Zugleich seien im laufenden Jahr mehr als 1.300 Flüchtlinge und Migranten bei der Fahrt über das zentrale Mittelmeer und damit mehr Menschen als im Vorjahr gestorben, sagte die 54-jährige gelernte Journalistin und ehemalige Leiterin der Kinderrechtsorganisation Plan International Deutschland. „Das bedeutet, dass im Durchschnitt alle sechs Stunden ein Mensch ertrinkt.“ Der Druck auf die Fluchtroute lasse nicht nach.

Italien verschenkt Überwachungstechnik an die libysche Küstenwache

Das Migazin vom 09.12.2021 berichtet: Die Küstenwache in Libyen hat neue Technik zur Beobachtung des Mittelmeers aus Italien erhalten. Die mit EU-Mitteln finanzierten Anlagen sind in Containern installiert und wurden von dem Hubschrauberträger „San Giorgio“ nach Tripolis gebracht. Die Tageszeitung „Repubblica“ beschreibt die Überführung als „verdeckte Operation“. Jedoch handelt es sich um die seit Langem angekündigte Lieferung einer mobilen Seenotleitstelle (Maritime Rescue Coordination Center – MRCC).

Die Finanzierung erfolgt im Rahmen des EU-Projekts „Unterstützung der integrierten Grenz- und Migrationsverwaltung in Libyen“ (SIBMMIL) aus Mitteln der Entwicklungshilfe. In einer ersten Stufe hatte die EU dafür 46 Millionen Euro aus dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika bewilligt, 2018 folgten weitere 15 Millionen Euro. Damit will die EU die libysche Küstenwache zur besseren Migrationsabwehr ertüchtigen.

Die in Containern installierte Informations- und Überwachungstechnik soll helfen, Geflüchtete in kleinen Booten auf dem Weg in Länder wie Malta oder Italien zu entdecken und anschließend nach Libyen zurückzuholen. Hierzu erhält die Küstenwache weitere drei Patrouillenschiffe aus Italien, die ebenfalls aus dem Nothilfe-Treuhandfonds finanziert werden.

Der Auftrag für die Lieferung der mobilen Leitstelle ging an die italienische Firma ELMAN. Ihre Ausrüstung besteht aus verschiedenen Kommunikationssystemen, wie sie im weltweiten Seenot- und Sicherheitsfunksystem (Global Maritime Distress and Safety System – GMDSS) vorgeschrieben sind. Das schreibt die ELMAN auf der eigenen Webseite. Demnach gehören Funkgeräte der deutschen Firma Rohde & Schwarz und Anlagen zum Empfang von Notfall- und Warnmeldungen von der britischen Firma Inmarsat zu dem System. Das italienische Innenministerium soll libysches Personal zur Bedienung der Technik ausbilden.

Über mehrere Jahre hat die EU das zentrale Mittelmeer in der Militärmission IRINI oder in Missionen der Grenzagentur Frontex mit Flugzeugen beobachtet und Menschen in Seenot mit Schiffen gerettet. Inzwischen sind die maritimen Einheiten aus der Region abgezogen oder – wie in IRINI – weitab der Routen von Geflüchteten positioniert. Gleichzeitig hat die EU ihre zivile und militärische Luftüberwachung ausgebaut, über Sichtungen von Booten wird dann die libysche Küstenwache informiert.

Derartige Meldungen über Seenotfälle müssen aber an ein MRCC gerichtet werden. So sehen es die Regularien der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) vor, denen Libyen seit 2018 eigentlich genügen muss. Ohne über eine solche Seenotleitstelle zu verfügen, hat die Regierung vor drei Jahren ihre Zuständigkeit für eine eigene Seenotrettungszone erklärt und dafür 1,8 Millionen Euro von der EU-Kommission erhalten. An die Auszahlung der Gelder war die Erstellung einer Machbarkeitsstudie zur Einrichtung eines MRCC geknüpft.

Laut dem Kommissar für die Europäische Nachbarschaftspolitik Olivér Várhelyi hat die libysche Küstenwache anschließend die für ein solches MRCC benötigten Geländefahrzeuge, Krankenwagen, Schutzanzüge, Rettungsausrüstung sowie „Kommunikationsgeräte“ beschafft. Auch dies wurde aus Mitteln der EU-Entwicklungshilfe bestritten. Es ist allerdings unklar, wo die Ausrüstung verblieben ist.

Auch wer das containerbasierte MRCC an den libyschen Küsten betreiben soll, ist nicht bekannt. Im Land gibt es zwei große Behörden mit maritimen Überwachungsaufgaben, die aus teilweise konkurrierenden Milizen bestehen. Die zivile Küstenschutzverwaltung (General Administration for Coastal Security – GACS) gehört zum Innenministerium und ist für die Zwölfmeilenzone zuständig. Für Sicherheitsaufgaben auf hoher See ist hingegen die zum Militär gehörende Küstenwache (Libyan Coast Guard – LCG) verantwortlich. Beide übernehmen indes Aufgaben der Hafensicherheit.

Vor acht Jahren hat die EU eine von Italien geleitete „Mission zur Unterstützung des integrierten Grenzmanagements in Libyen“ (EUBAM Libyen) gestartet. Sie soll die Behörden des Landes bei der Überwachung der Landgrenzen im Süden sowie an den Seegrenzen unterstützen, auch die EU-Kommission und der Auswärtige Dienst sowie Frontex nehmen daran teil. Eine der Aufgaben von EUBAM Libyen ist die Neuorganisation der beiden Küstenwachen. Wegen des aufflammenden Bürgerkrieges existiert die Mission jedoch seit zwei Jahren nur in einer Minimalbesetzung.

Das 2014 begonnene EU-Projekt „Seepferdchen Mittelmeer“ verlief offenbar ebenfalls im Sand. Unter Leitung der spanischen Gendarmerie sollte die libysche Küstenwache an ein Informationssystem aller EU-Mittelmeeranrainer angeschlossen werden. Darüber wäre Libyen als erster Drittstaat auch indirekt mit dem EU-Überwachungssystem EUROSUR, das von Frontex in Warschau betrieben wird, vernetzt worden. Bislang gibt es allerdings keinen Beleg, dass das 5,5 Millionen Euro teure Vorhaben jemals umgesetzt wurde.

Mit dem containerbasierten MRCC unternimmt die EU einen neuen Versuch, Libyen als Türsteher zur Migrationsabwehr zu instrumentalisieren. Das Einlaufen eines italienischen Hubschrauberträgers in den Hafen von Tripolis ist aber auch ein Signal an die Türkei, die nach Beginn des Bürgerkriegs Truppen und militärische Ausrüstung zur Unterstützung der „Einheitsregierung“ geschickt hatte. Die türkische Marine bildete anschließend auch die libysche Küstenwache aus – eine Aufgabe, die zuvor die EU-Militärmission übernommen hatte. Wiederholt hat der Europäische Auswärtige Dienst in Brüssel versucht, Libyen zur Wiederaufnahme von Trainings durch IRINI zu bewegen. Die militärische Präsenz der Türkei hat dies jedoch verhindert.

Die Zeitung „Repubblica“ feiert die Lieferung der mobilen Seenotleitstelle deshalb als eine erfolgreiche Aktion gegen den „türkischen Aktivismus in Libyen“ und einen Neubeginn guter Beziehungen mit der EU. Ob sich das Verhältnis wirklich verbessert, wird sich in den nächsten Monaten erweisen. Im Januar soll in Libyen der Präsident neu gewählt werden. Fast hundert Kandidat:innen bewerben sich um das Amt, darunter auch ein Sohn des einstigen Machthabers Muammar al-Gaddafi und der General Chalifa Haftar, der 2019 den Bürgerkrieg begann.

Ein Besuch bei den ersten Geretteten der „Sea-Watch 4“

Das Migazin berichtet am 09.12.2021: Sommer 2021 im französischen Lyon. „Der 23. August 2020 ist der Tag meiner Rettung“, sagt Cisse. Sie sitzt auf einer Bank auf einem Spielplatz. Ihr zweijähriger Sohn Ali hat gerade das Fahrrad eines anderen Kindes in Beschlag genommen und freut sich riesig über das Spielzeug. Im August vor einem Jahr saß die heute 28-jährige Frau von der Elfenbeinküste noch an Deck des Seenotrettungsschiffes „Sea-Watch 4“, den kleinen Jungen in einem Tuch um die Brust gewickelt und in Ungewissheit darüber, was in Europa auf sie zukommen würde. Die „Sea Watch 4“, ein auf Initiative der evangelischen Kirche in Deutschland gekauftes Schiff, lief damals zu seiner ersten Rettungsmission ins zentrale Mittelmeer vor der libyschen Küste aus.

Die Überfahrt über das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr bislang mindestens 1.650 (Stand: 3.12.) Menschen bei der Überfahrt ums Leben gekommen oder werden vermisst. Cisse und Ali sind zwei von 353 Menschen, die die zivilen Seenotretter der „Sea-Watch 4“ auf ihrer ersten Fahrt aus dem Meer bargen.